Über den hohen Atlas auf der Karawanenhandelsstrasse nach Merzouga

Den ersten Schnee in diesem Winter sehen wir in Afrika – zugegeben, es sind nur kleine Schneeflecken am schattigen Strassenrand auf der Passstrasse über den 2260 Meter hohen  Tizi n’Tichka im Atlasgebirge. Der Pass gehört zum Toubkal Massiv, das mit mehreren 4000ern als das höchste Gebirgsmassiv Nordafrikas gilt. Mit einer kleinen Reisegruppe von sieben Personen und Abdul unserem Fahrer sind wir unterwegs auf der ehemaligen Karawanenhandelsroute, die von Marrakesch nach Timbuktu führt. Abdul spricht nicht viel, aber er lacht gerne und steuert uns auf kurvenreicher Straße sicher über die Berge.

Auf der anderen Seite der Passstrasse im Tal des Assif Ounila Flusses liegt die Kasbah von Isar Aït Ben Haddou. Eine Festung aus dem  11. Jahrhundert wie aus dem Bilderbuch. Kein Wunder, dass sich hier in der Nähe mehrere Filmstudios angesiedelt haben. Die Kasbah mit ihren überwiegend gut erhaltenen Lehm- und Steinbauten diente bereits in den 50er Jahren als Filmkulisse für „Lawrence von Arabien“ und „Alibaba und die vierzig Räuber“.

 „Ich habe schon in über 20 Filmen mitgespielt, wenn ihr wollt, gebe ich euch gerne ein Autogramm“, bietet uns Karim mit einem verschmitzten Lächeln an. Der sympathische junge Berber führt uns durch die Anlage, in der heute nur noch acht Familien leben, die ihren Lebensunterhalt vor allem mit dem Tourismus verdienen. Früher lebten hier jüdische Berber, die Handel trieben, zusammen mit muslimischen Handwerkern. 

Ein paar Kilometer weiter kommen wir in Ouarzazate an den „Atlas Filmstudios“ vorbei – ab hier geht es auf der Nationalstraße 10 weiter durch die karge Steinwüste und verstaubte Dörfer. Vereinzelt tauchen die ersten Nomadenzelte auf – viel häufiger sehen wir ab jetzt aber die Gefährte der „Grauen Nomaden“ auf der Straße – wir sind erstaunt über die vielen  Wohnmobile, die in dieser kargen Wüstenlandschaft unterwegs sind.

Die Nacht verbringen wir in der spektakulären Dadés-Schlucht. Mustafa und seine Freunde singen abends am Kaminfeuer melancholische Lieder zu Trommelrythmen. „Ein alter Mann, der oben in den Bergen in einem Höhlenhaus lebt, ist einsam und des Lebens überdrüssig, ab und zu kommt er ins Tal und singt sich seinen Schmerz vom Leib“, erzählt mir Mustafa. Er und seine Freunde hören ihm gerne zu und lassen sich von ihm zu eigenen sentimentalen Texten inspirieren. 

Am nächsten Morgen liegen noch knapp 300 km vor uns bis zu unserem Ziel. Bei Todkha biegen wir auf die Nationalstraße 12 ab, machen einen kurzen Abstecher in die Todkha Schlucht, mit ihren 300 Meter hohen Felswänden und besuchen die Lehmhäuser im alten Ortskern, in denen heute mittellose Nomaden leben. Im fruchtbaren Tal von Todkha blühen schon die Mandelbäume – viel zu früh in diesem Jahr. In den Gemüsegärten werden Kohlrabi, Karotten und Alfalfa angebaut,  dazwischen wachsen Feigen-und Pfirsichbäume. Nach einer kurzen Pause im Grünen geht es wieder weiter durch die steinige unwirtliche Wüste.  

Am späten Nachmittag erreichen wir unser Ziel Merzouga unweit der Grenze zu Algerien. Wir sind spät dran –  die Kamele warten schon auf uns. Schnell werden noch warme Klamotten in den kleinen Rucksack gepackt und dann geht es auch gleich los. Im warmen Abendlicht zieht unsere kleine Karawane durch die Sahara, angeführt von Mustafa, einem jungen Berber, der uns heute zu unserem Nachtlager am Rand der Sandwüste bringen wird. Die Schatten der Dromedare im Wüstensand werden immer länger – Sonnenuntergang in der Wüste – ein grandioses Erlebnis.

Sobald die Sonne weg ist, wird es kalt. Glücklicherweise habe ich meine Daunenjacke dabei. Probleme macht mir allerdings mein Hintern – ich hätte nie gedacht, dass der Kamelritt durch die Wüste so anstrengend werden würde. Wir sind schon 1,5 Stunden unterwegs und noch eine Stunde von den Zelten entfernt. Jetzt plagt mich auch noch ein Krampf im Oberschenkel, ich weiß nicht mehr wie ich sitzen soll. Inzwischen ist es dunkel geworden, Mustafa zeigt auf schwache Lichter in der Ferne „das sind unsere Zelte, noch 20 Minuten, dann sind wir da!“ Gott sei Dank, ich kann wirklich nicht mehr sitzen.  Sogar das Absteigen fällt mir schwer. Inzwischen ist es so kalt geworden, meine Finger sind schon ganz steif und meine Füße fühlen sich – trotz Wollsocken – wie Eisklötze an. Das warme Abendessen – es gibt Pasta und  Tajine mit Huhn und Gemüse – richtet mich wieder etwas auf. Aber meine Füße werden auch am Lagerfeuer draußen nicht richtig warm. Der Mond, der klare Sternenhimmel, die Konturen der Sanddünen – sie verlocken mich heute Abend nicht mehr – ich will nur noch unter eine warme Decke und schlafen. Die Temperaturen sinken in der Nacht unter den Gefrierpunkt – im ungeheizten Zelt kann es da schon etwas ungemütlich werden. Glücklicherweise gibt es massenweise Decken und meine Daunenjacke um die Füße gewickelt, ersetzt fast einen Schlafsack. Nur die Nase ragt noch aus dem Deckenberg, unter dem ich vergraben bin, hervor und fühlt sich an wie ein Eiszapfen. Die Nacht ist kalt und kurz. Um 6 Uhr klingelt der Wecker. Dick eingepackt, mit Mützen, Schals und Handschuhen versehen, ziehen wir ohne Frühstück im Dunkeln los. Das erste Stück gehen wir zu Fuß, um warm zu werden. Mein Gott, bin ich froh, dass ich so nicht bis nach Timbuktu reisen muß. Nach einer Stunde steigen wir wieder auf unsere Dromedare und erleben bald den Sonnenaufgang über der Wüste.