Flaches Land, einsame Gauchos und grenzenlose Freiheit – Auf dem Weg zur Erfüllung eines Traums

März 1987

Mit der Schiffspassage durch die chilenische Fjordlandschaft zwischen Puerto Montt und Puerto Natales möchte ich mir einen lang gehegten Traum erfüllen. Ich weiß, dass ich für dieses Projekt etwas Zeit einplanen und auch tiefer in die Tasche greifen muss, als es meine knappe Reisekasse erlaubt. Mein Motto ist zwar: Je weniger ich ausgebe, umso länger kann ich unterwegs bleiben – aber auf diese Fahrt möchte ich unter keinen Umständen verzichten. 

Es gibt Kreuzfahrtschiffe, die am Hafen von Puerto Montt ablegen und die Passagiere zum Gletscher San Rafael am patagonischen Eisfeld bringen. Das ist  sicherlich eine unvergessliche Tour, aber nichts für mich. Selbst wenn ich das Geld hätte, das wäre  nicht meine Art zu reisen. Ich will auf die Fähre, die einmal in der Woche vorwiegend mit Schafen und Kühen beladene LKW in drei Tagen durch die Fjordlandschaft nach Puerto Natales bringt. Hier unten gibt es auf chilenischer Seite nämlich keine Straße mehr. Die Fähre ist allerdings bereits seit Wochen ausgebucht und obwohl ich nichts unversucht lasse, gelingt es mir in Puerto Montt nicht auf dieses Schiff zu kommen. Vom Hafenmeister bekomme ich den Tipp, die Strecke einfach in umgekehrter Richtung zu machen. Dies sei einfacher, weil viele LKW-Fahrer auf dem Rückweg nur ihren LKW auf das Schiff fahren und selbst zurückfliegen würden.  Also ab in den Süden! In zwei Wochen legt das anvisierte Schiff in Puerto Natales ab. Vorher will ich noch einen Abstecher ans Ende der Welt, nach Feuerland, machen, dort bin ich mit zwei Berlinerinnen verabredet, die  ebenfalls auf das Schiff wollen. Die Zeit wird knapp, denn auf argentinischer Seite gibt es zwar eine Straße aber sehr wenig Busverbindungen. Wenn ich rechtzeitig auf Feuerland sein will,  bleibt mir  nichts anderes übrig, als zu trampen.

Auf dieser Strecke sind überwiegend LKW unterwegs und nach drei Stunden habe ich auch schon meinen ersten Lift. Es ist ein erhebendes Gefühl oben im Führerhaus zu sitzen und durch die flache weite Landschaft Patagoniens auf einer  schnurgeraden Straße zu fahren, die in den Himmel zu führen scheint. Das weite flache Land gibt  meinen Gedanken und Gefühlen einen grenzenlosen Spielraum. Das intensive Licht, das ich vorher so noch nirgends gesehen habe, Regenbogenwolken, Grasbüschel, die in dem sonst kargen Land in der Sonne leuchten  das Spiel der Wolken: Ich habe mich in diese Landschaft verliebt. In Comodoro Rivadavia am Südatlantik setzt mich der nette LKW-Fahrer direkt vor einem preiswerten Hotel ab. Bereits am nächsten Morgen habe ich großes Glück, denn ich bekomme einen Lift mit Joaquín, einem jungen Argentinier, der mit Gütern aus der Freihandelszone auf Feuerland handelt. Die Fahrt in seinem umgebauten klapprigen Mercedes-Bus genieße ich besonders, denn wir beide sind auf einer Wellenlänge und bei ihm läuft „meine Musik“ im Radio: Janis Joplin mit „Freedom is just another word for nothing left to lose“ . Das passt perfekt zu meiner Stimmung. Je weiter wir gen Süden kommen, umso weniger Verkehr ist auf der Straße, abgesehen von einigen Guanacos, Stinktieren, patagonische Hasen, Nandus (südamerikanische Strauße) und Schafen, mit denen wir die Straße teilen. Ab und zu sehen wir einsame Gauchos durch die Pampa reiten, die von Hunden begleitet werden.  Joaquín hat keine Eile, er genießt die Landschaft und macht viele Pausen, in denen er sich auf seinem kleinen Gaskocher heißes Wasser bereitet, um seine Mate-Kalebasse aufzufüllen.

Yerba de Mate ist ein starker Kräutertee aus den Blättern der Stechpalme, sehr gesund und mit aufputschender Wirkung. Das  Nationalgetränk der Argentinier wird aus einem speziellen Gefäß getrunken und zwar mit einem Trinkrohr aus Metall mit einem Sieb am unteren Ende, der  Bombilla, wie man in Argentinien dazu sagt. Bei Einbruch der Dunkelheit steuert Joaquín ein einsames Haus mitten in der Landschaft an.  Die Bar „La Cabaña“ ist ein Teffpunkt der Gauchos aus den umliegenden Estancias und heute unser Übernachtungsplatz. Noch ist die Kneipe leer und Fernandez, der braungebrannte schnauzbärtige Wirt, erzählt mir ein wenig über die Gauchos, die ein sehr einsames Leben auf den Estancias führen. „Es sind sehr naturverbundene Männer, die in der Einsamkeit meist ohne Frauen leben“, beschreibt Fernandez seine Kunden,  „und  sie haben ein ganz besonderes, enges Verhältnis zu Tieren“. Das sei auch der Grund, warum man nie einen Gaucho ohne Hund sehen würde. Hunde seien die besten Freunde, Spielgefährten und Helfer dieser Männer und von ihnen handeln auch viele der sentimentalen Lieder und Balladen, die abends am Feuer und heute Abend hier im Lokal gesungen werden. Nach und nach treffen die Männer ein, binden ihre Pferde an Pfählen vor dem Haus fest und setzen sich zu uns an die Bar.

Eine Frau in einer Gaucho-Kneipe ist hier unten eine echte Sensation und auf jeden Fall eine Abwechslung vom einsamen Alltag dieser Männer, die sich mir gegenüber übrigens alle wie Gentlemen verhalten. Ich soll unbedingt ihr Lieblingsgetränk „Caballito Blanco“ probieren,  einen Whiskey der Marke „White Horse“ und ich darf beim „Sortiga Crillola“ mitspielen – einem Gaucho-Wurfspiel, bei dem ein Ring über einen Nagel an einem Holzbalken geworfen werden muss. Es ist ein bisschen wie Lassowerfen. An diesem  Abend wird viel gelacht, erzählt und gesungen  und bei den  Gitarrenklängen und  melancholischen Gesängen der Männer wird mir ganz warm ums Herz. 

Am nächsten Morgen geht Fernandez noch einmal mit mir über das Gelände und zeigt mir, dass es auch hier, wo scheinbar nichts ist, etwas zu entdecken gibt. Versteinerte Baumstümpfe und steinzeitliche Speerspitzen sind Zeugen einer sehr alten Besiedlungskultur. Sie stammen aus einer Zeit, in der es in dieser baumlosen Steppenlandschaft noch Wälder gab.

Bei blauem Himmel und kaltem Wind überqueren wir die Magellanstraße und einen Tag später erreiche ich – gerade noch rechtzeitig zum verabredeten Termin – Feuerland. In Ushuaia, der südlichsten Stadt Argentiniens, regnet es ununterbrochen. Da die Wettervorhersagen auch in den nächsten Tagen keine Besserung versprechen, sind die beiden Frauen, mit denen ich mich hier treffen wollte, schon wieder abgereist.

Wir werden uns spätestens in Puerto Natales  treffen, wo wir hoffentlich, ein Ticket für die LKW-Fähre  bekommen.